Ist das der Anfang vom Ende des Kapitalismus? In den USA verlieren Hunderttausende verschuldeter Familien ihre Häuser. In Griechenland leben viele Menschen auf der Straße. Die Schuldenkrise kann jeden treffen. Führt ein Finanzsystem, das sich weitgehend über Schulden finanziert, zwangsläufig in den Abgrund?
Wenn es einen Satz gibt, den jeder unterschreiben würde, dann den: Schulden muss man zurückzahlen. Doch jetzt kommt ein Mann, der unser Finanzsystem analysiert wie ein Ethnologe einen exotischen Stamm in Neuguinea. Und dieser Mann sagt: Nein, Schulden muss man nicht unbedingt zurückzahlen.
David Graeber ist der neue Star der Kapitalismuskritik. Er ist Professor für Anthropologie in London, bekennender Anarchist — und Mastermind der weltweiten Occupy-Bewegung. Aber sein Buch „Schulden. Die ersten 5.000 Jahre” halten auch Banker und konservative Politiker für einen Meilenstein.
„Schulden erzeugen immer ein Machtverhältnis”, sagt Graeber. „Die alten Eroberer haben das verstanden, ein Mafioso versteht das. Du schuldest mir was, sagen sie, und machen dir ein Angebot, das du nicht ablehnen kannst. Das heißt, es sieht plötzlich so aus, als habe das Opfer eine Schuld ihnen gegenüber. Als hätte der Schuldner etwas Böses getan. Das kann man über die ganze Geschichte der Menschheit verfolgen.” (…)
Titel Thesen Temperamente, 20.5.2012